Beschreibung
Russland
Ingolf Natmessnig (Hsg.)
Viele der besten Vertreter der russischen Literatur haben in ihren Werken den Wald und die Jagd thematisiert und sind selbst leidenschaftliche Jäger gewesen. Auch Nicht-Jägern sind Iwan Turgenjews „Aufzeichnungen eines Jägers“ oder die Schilderung einer Wolfsjagd in Tolstois „Krieg und Frieden“ bekannt. Einige der schönsten Jagdgeschichten Russlands hat der Naturforscher Ingolf Natmessnig zusammengetragen.
Der Erzählband „Russland – Erzählungen rund um die Jagd“ stellt in 20 Geschichten quasi im Verlauf eines „Literarischen Jagdjahres“ die bedeutendsten und jagdlich spannendsten Tiere Russlands im Rahmen jeweils einer oder mehrerer Erzählungen vor: beginnend mit einer unglaublichen Fallenjagd, über die Frühjahrsjagd auf Schnepfen, über die Jagd auf Wölfe, den Zobel, den Elch und das Rentier bis hin zur Bärenjagd im Hochwinter; das Jagdjahr klingt aus mit dem Essay „Wald und Steppe“ von Iwan Turgenjew, einer Beschreibung dessen, was den Zauber der Jagd ausmacht, wie man sie schöner kaum finden kann.
Der zeitliche Bogen der Erzählungen reicht von der Zarenzeit bis in die Gegenwart. Sämtliche Erzählungen zeichnen sich vor allem durch zwei Dinge aus: höchste Erzählkunst oder dramatischer Verlauf. In vielen der Geschichten verbinden sich die beiden Vorzüge zu höchster Literatur. Allen Geschichten ist jedenfalls eines gemeinsam: Sie sind höchst lesenswert!
Eine von Egon von Kapherr stammende Erzählung aus dem von Ingolf Natmessnig herausgegebenen Buch “Russland” – als Leseprobe:
Njuchos, der Ostjak von der Sosswa, hatte schwere Eisen ausgelegt in der Heide, weitab von den Siedlungen. Verschlossen, wie er war, hatte er niemand gesagt, wo er trappte. Nicht etwa, dass er gedacht hätte, der eine oder andere seiner Gefährten könnte auf den Gedanken kommen, ihm das gefangene Pelzwild oder gar die Eisen zu stehlen – bewahre! Aber er besaß eine Art besonderen Ehrgeizes; er war eifersüchtig darauf bedacht, seinen Ruhm als bester Trapper nicht zu gefährden und deshalb verriet er nie, wo er Fährten gesehen hatte und wo er seine Eisen auf Luchs und Vielfraß aufstellte.
Es war bitter kalt geworden, und schwere Schneefälle hatten mit harten Frösten abgewechselt. Die Stämme der Bäume begannen zu platzen, dass der Wald schallte wie von Schüssen.
Eines Tages hatte Njuchos wieder drei seiner Eisen genommen und war in die Heide gegangen. Einem Vielfraß galt es diesmal. Gegen Mittag erst erreichte der Trapper die Stelle, wo er am Tage vorher die Fährte festgestellt hatte. Er legte zwei der schweren Schlageisen kunstgerecht an dem Kadaver eines toten Rentieres aus, das er vor einiger Zeit erlegt und hierher geschleppt hatte, das dritte aber legte er in den Schnee unter den überhängenden Ast eines Vogelbeerbaumes, an dem er einen kürzlich erlegten Auerhahn angebunden hatte.
Nachdem der Vogel genau über der Stelle angebracht war, die Njuchos für die Falle ausgesucht hatte, schob der Trapper den Schnee beiseite, bettete das Eisen ein und spannte es mit dem Schlüssel. Das Eisen, ein großes Raubtiereisen, wog sicherlich dreißig Pfund ohne die starke Kette und den Anker und war eigentlich für Bären gebaut. Seine furchtbar starken Federn ließen sich nicht mit der Hand, sondern nur mit dem Schlüssel spannen – was die einmal in ihren starken Bügeln hiel-
ten, hielten sie fest, rettungslos …
Als der Trapper gerade das Eisen gespannt hat, hört er über sich einen großen Vogel in der Baumkrone sich einschwingen. Einen Auerhahn. Sofort wird in dem Manne die Begierde wach. Er will sich erheben, dabei auf den Auerhahn blickend – er macht eine ungeschickte Bewegung … Ein schrecklicher, schnappender Ton. Und ein Schrei des Entsetzens!
Die schweren Bügel des Eisens haben zugeschnappt, beide Hände des Unglücklichen packend …
Was das Bäreneisen hält, hält es fest für immer …
In dichten Flocken fällt der Schnee. Er wirbelt vom blaugrauen Himmel herab in dichten Massen. Er deckt alles in Wald und Moor fußhoch zu.
Durch die Heide schleppt sich ein müder Mann. Tief gebeugt schleicht er dahin – schwer an seinen froststarren Händen, an den gebrochenen Armen hängt das furchtbare Bäreneisen. Die Kette rasselt hinterdrein, der Anker fängt sich an Baum und Strauch.
Kein Ton des Schmerzes – keine Träne der Verzweiflung. Nur ein halblautes Murmeln – ein Gebet an die Geister des Waldes, an Ort, den Großen Gott, der weit drüben in den Bergen
des Ural wohnt und dessen Raben krächzend über die Heide fliegen.
Der Schnee fällt und wirbelt. Das Licht sinkt. –
Und das dichte flockige Weiß des Himmels deckt alles zu. Auch den Mann, dem der Urwald Wiege und Heimstatt war, den Mann, der ergeben in das Schicksal, gesandt von den Göttern, am Fuße der alten Brandkiefer niedersank – ohne Laut ohne Klage.
Der Schnee wirbelt und fällt. Wie winziger Glöckchen Läuten klingt es in der Luft …
Die Ostjaken waren in Sorge. Da aber niemand wusste, wohin Njuchos sich gewandt hatte und der tiefe Neuschnee jede Spur verdeckte, gab man das Suchen auf.
Im Urwalde sucht man die Verlorenen nicht. Denn die Wälder sind groß und verschwiegen. Und jedermann hat sein Schicksal, wie es ihm Gott vorausbestimmte oder der Rat der Geister des Waldes.
Was soll man da machen? – „Sudba“, Schicksal, sagt der russische Jäger.
Jagderzählungen aus Russland – von der Zarenzeit bis in die Gegenwart. Höchste Erzählkunst, auch von Tolstoi und Turgenjew! Spannendes Wild: Wolf, Tiger, Bär, Elch usw.!
176 Seiten. Exklusiv in Leinen.
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