Beschreibung
Par force – Erinnerungen eines Reiters und Jägers
Otto W. Rossegg
Es ist die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Offizier – ehemals diente er in der k.u.k. Armee – steht in seiner neuen Heimat am Fenster des Hauses. Sein Blick wandert weit hinaus, wandert über die Berge, zurück in die Vergangenheit, in die unwiederbringlichen Tage der Jugend. Freunde, Kameraden und Frauen tauchen auf. Weites fruchtbares Land löst sich aus der Dämmerung, schweigende Wälder, grüne sonnendurchflutete Fluren, weidende Herden und blinkende Seen. Pferdedunst und der Geruch von Leder webt in die Erinnerung herein, und ein zartes Damentüchlein mit eingestickter Krone und den Buchstaben R.C. mischt sich ins Bild. Goldene Zeiten, in denen sich das wallende Blut und die überschäumende Energie des jungen Leutnants in wilden Ritten hinter den Hunden austoben durfte und der Ruf „Hajraa – Hassaa!“ der Parforcejäger über die ungarische Puszta schallte.
Goldene Zeiten, in denen erste Liebe die Brust des jungen Leutnants erfüllte, auch wenn diese Liebe ohne jede Hoffnung war. Goldene Zeiten, längst vergangen. Rosseggs Novelle „Par force – Erinnerungen eines Reiters und Jägers“ hält diese Zeiten für uns Heutige lebendig.
Leseprobe:
… Jetzt aber alle fünf Sinne beisammen! Die Hunde jagen wie Satanas vorwärts. Weit vor mir prescht Radimak Seite an Seite mit den beiden Kopfhunden, dass die Erdschollen fliegen und von ihm nur der weiße Hosenboden zu sehen ist. Mein Sihdi wirft seine schlanken sehnigen Beine wie eine Maschine nach vorn und bettelt mit ungeduldigem Schnauben um ein wenig mehr Zügel. Nein, mein Pferdchen, schön brav im Tempo bleiben, zuviel des Guten schadet! Hinten an den Nachzüglern feuert Jusko die trägeren Hunde mit seinem „Hassaa – Hassaa!“ an und grinst mich – wie immer – aus seinem schlitzäugigen Kalmückengesicht vergnügt an, aus dem die nicht nur von der Kälte rote Nase wie eine Erdbeere leuchtet. Denn welcher slowakische Reitkanonier möchte bei dem Gedanken an die reichlichen Trinkgelder und den garantierten Schnaps nicht in Verzückung geraten?
Verteufelt scharf geht die Jagd heute an. Die Buschreihe ist längst schon hinter uns. Die Fuchsspur zieht schnurgerade über die weiten Äcker einem rund zweitausend Meter entfernten Akazienwäldchen entgegen. Meister Reineke hat sich seine Fluchtroute verdammt schlau ausgesucht!
Holla – ein Futtermaisfeld taucht in einer Mulde auf. Ob der Schlaumeier hier Deckung gesucht hat? Es wäre fabelhaft, ihn schon jetzt vor die Meute zu bekommen. Richtig, wie mit einem Lineal gezogen saust Mohikan, der Kopfhund, auf das Maisfeld zu – schon verschwindet er darin, Radimaks Pferd mit einer mächtigen Lancade hinterdrein. Im nächsten Augenblick schleudert mein Sihdi die Maisstengel auseinander.
Da! Am jenseitigen Rand ein jauchzendes Aufheulen der Kopfhunde, ein vielstimmiges Geläut der folgenden Meute, und mit einem gellenden „Hajraa!“ zeigt Radimak auf die kahle Fläche nach vorn. Dort, weit voraus, flüchtet unser Reineke wie ein dunkler Strich über die Ebene zielsicher auf das ferne Wäldchen zu. Grimmig verdoppelt die Meute das Tempo. Siehst du, mein Sihdi, jetzt gibts ein paar Zentimeter mehr Zügel, wir brauchen ein wenig mehr Kopf, denn die Meute rast wie der Teufel. Ein Blick zurück. Das Feld rauscht durch den Mais, die Entfernung zu uns hat sich vergrößert, und der Master gibt sichtlich im Tempo zu. Und der Lipizzaner ist knapp hinter ihm! – Der Abstand zwischen Fuchs und Meute ist gleich geblieben, der Rotrock flüchtet jetzt schneller. Der alte Rüde scheint recht zäh zu sein!
Himmel – was ist das dort vorne für eine grüne Mulde?! Das ist ja die sumpfige Wiese am Szönyer-Bach! Sankt Hubertus, sei uns jetzt gnädig! Soeben flitzt der Fuchs wie ein Schatten über den grünen Streifen. Ich sehe ihn dann im flachen Bogen über den von hier unsichtbaren Wassergraben schweben, der – geschätzt – gute drei Meter breit ist.
Sihdi, drück die Daumen, wenn du kannst! Nicht für uns, aber für den Schimmel dort hinten, der mein Liebes trägt! Wir beide kommen schon durch, ich vertraue dir! Jetzt ist Radimak dran. Hochauf spritzt der Morast um sein strauchelndes Pferd, mit harter Hand reißt er es hoch und gibt ihm die Sporen für die dreißig Meter bis zum Wassergraben. Ansatz, Absprung – und drüben ein Pferdebauch, vier Hufe in der Luft und davor eine purzelnde, rot-weiße Kugel – mein Radimak! Doch keine Zeit zum Hinsehen, denn, mein Sihdi, jetzt sind wir an der Reihe! Etwas weniger Tempo als unser Vorgänger, Trab, dann rasch einen höheren Buckel am Bachufer gemacht und – hopp! – drüben sind wir! Es wäre schon eine Blamage, wenn der Hundsmann hier baden sollte!
Auf der anderen Seite des Grabens ist der Grund fester, also Kopf freigegeben und „Hajraa“, damit wir den Mohikan dort vor dem Wald einholen, sonst geht er über sieben Berge davon. Blick zurück zum Radimak. Bravo! Der Kerl hat sich schon hochgerappelt und springt soeben wie ein Affe in den Sattel. Der grinsende Jusko ist glücklich hinübergekommen und krächzt sein „Hassaa!“ lustig weiter. Prima – hier klappts also, doch wie sieht es hinten aus?
In Karriere Blick nach rückwärts: Heilloses Durcheinander vor und hinter dem Graben, Pferde am Boden, Pferde laufen ohne Reiter frei herum, Rotfräcke als Infanteristen dazwischen, doch – hurraa! – Master-Capitano und mein Schimmel mit der geliebten Reiterin sind heil hinter mir! Ob Renate es fühlt, wieviel Angst ich um sie habe?!
„Hajraa!“ – mein Sihdi, vorwärts, dem rasenden Kopfhund nach. Noch ein bisschen, und wir haben ihn eingeholt. „Hohlaa – Mohikan!“ Scharf knallt die Hatzpeitsche vor seinem Windfang und stoppt ihn etwas ab. Da prescht schon, über und über mit Schlamm bespritzt, mein Radimak an mir vorbei zu seinen mit Blei beschwerten Lieblingen. Die Ordnung ist wieder hergestellt, der Fuchs noch in Sicht, und dort kommen schon die Akazien näher, in die er gerade hineinflitzt.
Gib, Sankt Hubert, dass die stacheligen Zweige nicht zu dicht sind, sonst gibt es böse Schrammen. Wir sind heran – hinein in die Dornen! Wie ich weiß, ist das Wäldchen nicht breit, dafür aber lang, und wenn es dem schlauen Reineke einfällt, so lotst er das ganze Feld quer durch die ganzen Akazien – dann Prost Mahlzeit! Vor mir höre ich den Laut der Kopfhunde und Radimaks „Hajraa!“ Auf den Pferdehals gelegt, sich so schmal wie möglich gemacht, und vorwärts! Verteufelt peitschen und kratzen die harten Dornenzweige Schenkel und Schultern sowie die Flanken des Pferdes. Ich gebe Sihdi frei, denn er ist klug genug, sich vorsichtig durch das Gestrüpp zu schlängeln.
Endlich ist der Waldrand erreicht, und mit einem Seufzer der Erleichterung machen wir den letzten Sprung ins Freie hinaus. Da – merklich näher vor dem Radimak – flüchtet der rote Räuber über die weite, von niedrigen Bodenwellen durchzogene Puszta, in deren Mitte rund drei Kilometer entfernt ein Meierhof liegt. Füchslein, Füchslein, nun gehts dir an den Balg! Jetzt legt der unermüdliche Mohikan los und knapp hinter ihm die Bella. Länger zieht sich die Meute auseinander, die jüngeren Hunde beginnen zu ermüden. Jusko hat jetzt zu tun, um die Nachzügler bei der Stange zu halten.
Reineke flüchtet schnurgerade in Richtung des Meierhofs weiter. Der Boden der Puszta ist fest und sandig, die Pferde fliegen wie Gazellen darüber hin. Die erste Bodenwelle taucht vor uns auf. Der Fuchs verschwindet eben über den Kamm in die Senke. Zweihundert Gänge hinter ihm sind die Kopfhunde und Radimak. Jetzt sind sie auf der Bodenwelle oben, gleich werden sie aus der Senke hochkommen. Doch – was ist denn das?! Weder der Fuchs noch Radimak sind zu sehen! Schon ist mein Sihdi die Anhöhe hinaufgaloppiert, ich blicke links und rechts – aha, Reineke wollte auskneifen und ist in der Senke scharf links abgebogen und wetzt dort zwischen den Hügeln auf einige Weidenbüsche zu. Die Meute jagt in vollem Tempo hinter ihm her …
Goldene Zeiten, als der Ruf „Hajraa – Hassaa!“ über die ungarische Puszta schallte. Rosseggs Novelle hält diese Zeit für uns Heutige lebendig.
72 Seiten. Exklusiv in Leinen.
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