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"Der junge Berufsjäger". - Illustriert ist das Buch mit Originalwerken von Ludwig Neuhauser, dem Bruder des Berufsjägers.Jagern in Brandenberg
Willi Neuhauser
Wie in seinem ersten Buch „Beruf: Jäger“ erzählt Wildmeister Neuhauser in lebendiger, bildhafter Sprache von der Jagd auf Hirsch, Gams, Reh und Birkhahn. Weit über das rein Jagdliche hinaus erzählt er aber auch von der Geschichte des Tales, vom einstigen Leben in der Abgeschiedenheit des Bergbauernhofes und von den vielen Originalen, die in früherer Zeit das Tal bevölkert haben. Gewürzt sind die ausdrucksstarken Erzählungen mit einer gehörigen Portion Humor.
144 Seiten, illustriert mit Originalfotos und Gemälden von Prof. Ludwig Neuhauser. Exklusiv in Leinen.
Preis: Euro 29,–
inkl. MwSt.
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„Bei der Jagd geht es leicht, schwer oder gar nicht“ ist ein geflügeltes Wort des allseits bekannten Tiroler Wildmeisters Willi Neuhauser. - Eine Leseprobe als Einstimmung auf das Buch "Jagern in Brandenberg".
... Es war im Jahre 1990. Wieder einmal war Hirschbrunft,
ich freute mich immer sehr auf diese aufregende und
spannende Zeit. Mit anderen Worten: Die Krone der hohen Jagd begann! Für einen Berufsjäger, der seinen Jagdherren und dessen geladene Gäste zu führen hat, ist die Brunftzeit immer eine große Herausforderung. Zwei Erntehirsche hatte die Jagdbehörde unserem Revier Erzherzog-Johann-Klause heuer freigegeben. Einen davon sollte der Jagdgast Hans W. erlegen. Ich freute mich ganz besonders, mit diesem ausgezeichneten und charaktervollen Jäger jagen zu dürfen, mit dem ich schon so manches Weidmannsheil gehabt hatte.
Wir hatten den Hirsch „Präsident“ ins Visier genommen, einen Sechzehner vom 13. Kopf. Um die Hirsche leichter auseinanderzuhalten, bekam seit der Gründung unserer Hegegemeinschaft „Unterland“ im Jahre 1972 jeder Zukunftshirsch vom zuständigen Revierbetreuer einen Namen. Ein ganzes Hirschleben lang hatte ich den „Präsidenten“ gehegt, im Winter war er wohl ein treuer Kostgeher an meiner Einfang-Rotwildfütterung. Im Sommer aber war er praktisch unauffindbar. Nur zwei oder drei Mal hatte ich ihn während der ganzen langen Jahre als Feisthirsch in Anblick bekommen. Seinen Brunftplatz besetzte der „Präsident“ hauptsächlich im benachbarten bayerischen Staatsrevier, der Valepp zu. Ab und zu wechselte er dann nachts doch wieder in seine Heimat, auf unsere Trausnitzalm. Da gab es nur die eine Chance: Ihn knapp an der blauweißen Grenze abzufangen.
Das Vieh von der Trausnitzalm war schon seit einer Woche im Tal. Somit wurde mir von den Almbesitzern Josef und Anna aus Breitenbach die Almhütte zum Übernachten und Wildbeobachten zur Verfügung gestellt. Bei ihrem hohen Alter stellte ich mir die Frage, wie lange die beiden die Alm wohl noch bewirtschaften konnten? Wenn das zu Ende ging, dann ging damit wohl eine jahrhundertealte Almwirtschaft und Romantik endgültig unter. – Zum Zeitpunkt des Almabtriebes herrschte bereits reger Brunftbetrieb, wie mir die Bauern berichteten. Der meldende Hirsch hatte eine außergewöhnlich hohe Stimme, sie meinten, der Hirsch sei jung. Mir hatten sie damit genug gesagt: Das war der „Präsident“! Gleich am nächsten Tag begab ich mich auf die Trausnitzalm, um der Sache auf den Grund zu gehen. Es war ein herrlicher Spätsommertag, ich war mutterseelenallein auf der Alm. Im Trausnitzkar äste ganz friedlich ein kleineres Rudel Gams, an die zwanzig Stück. Ein Spielhahn rodelte wie im Frühjahr zur Balz in den Abend hinein. Von der gegenüberliegenden Brandenberger Achenseite, im Nachbarrevier Marchbach, hörte man drei oder vier Hirsche gut melden. Das Wild im Bayerischen draußen konnte man von der Almhütte aus nicht hören, dazu hätte man sich zum Aussichtsköpferl – zehn Meter über der Staatsgrenze gelegen – begeben müssen. Unsere besten Fütterungshirsche waren meistens an der Brunft im Bayerischen draußen beteiligt, deshalb war dieses Aussichtsköpferl praktisch. Kurz vorm Schlafengehen machte ich mir einen Tee, dann begab ich mich ins Lager. Gegen halb acht Uhr, es war schon bald Vollmond, kam am Almboden Bewegung auf. Ich zählte sieben oder acht Stück Kahlwild, es war aber kein Hirsch dabei. Von einem kleinen Guckloch aus konnte ich fast die ganze Alm überblicken. Bald darauf hörte ich aber die unverkennbar hohe Stimme, die sich langsam vom Bayerischen her näherte. Am Anfang ganz schwach, denn der Hirsch war noch stark überriegelt, aber er sollte bald zum Kahlwild stehen. Kaum gedacht, hörte ich knapp hinter der Almhütte in den Latschen kräftiges Schlagen mit dem Geweih, dass die Latschenäste nur so flogen. Bald zog der Platzhirsch zu seinem Kahlwild. Ein kräftiger Kampfschrei verkündete: „Jetzt bin ich da!“ – Es war mein Gesuchter, der „Präsident“. Später kamen noch drei mittelalte Beihirsche, die sich ans Rudel heranmachten, und es gab im Laufe der Nacht heftige, brutale Kämpfe. Geweihe krachten ineinander, Stöhnen und Sprengen war zu hören, es war aufregend schön. Viel geschlafen habe ich in dieser Nacht nicht, dafür aber vieles erlebt.
Wie üblich zog das Wild zeitig in der Früh über die Grenze hinaus. Ich birschte hinterher. Als ich das Rotwild wieder zu Gesicht bekam, war es schon draußen beim Tageseinstand im bayerischen Kar. Ich fuhr heim und telefonierte gleich mit meinem Hirschgast. Er kam, und nach einer Tasse Kaffee ging’s ab ins Revier. Um vier Uhr Nachmittag saßen wir schon in unserem Bodensitz, am Grenzschlag-Ost. Von dort überblickt man einen großen Revierteil vom bayerischen Staatsforst. Bald war auch die unverkennbare Stimme des „Präsidenten“ zu hören. Wenig später zog unser Hirsch aus seinem Einstand in einen Lahnerstreifen und zeigte sich von allen Seiten. Um ganz sicher zu sein, sprach ich ihn auf die mehr als einen halben Kilometer große Entfernung noch einmal mit dem Spektiv an. Kein Zweifel, er war es!
Nun hieß es warten. Wenn das Rotwild den unteren Wechsel zum Grenzschlag annahm, dann saßen wir genau richtig. Vorerst aber einmal zog sich der Hirsch wieder in den Bestand zurück. Plötzlich verschwiegen alle Hirsche, offensichtlich legten sie eine kleine Pause ein. Wir saßen gemütlich in unserem Ansitz und warteten gespannt. Auf einmal raschelte es und wispelte knappe fünfzig Gänge unterhalb von uns im bunten herbstlichen Bergmischwald. Was konnte das sein? Wir staunten nicht schlecht, als ein balzender Haselhahn stolz und frech aus dem Unterwuchs trippelte, die Schwingen hängend, nahezu nachziehend, mit gefächerten Schwanzfedern. Er sang eifrig sein herbstliches Werbeliedchen. Dann sprang er auf einen Moderstock und drehte sich im Kreise. Er war ganz außer sich, und es war lustig, ihm zuzuschauen.
Dann aber setzte wieder das Orgeln der Berghirsche ein. Auch die Stimme des „Präsidenten“ war zu hören, sie entfernte sich leider in Richtung Kar. Das Rotwild nahm also den oberen Wechsel zur Trausnitzalm an. Wir mussten jetzt schnell handeln, packten unsere Sachen, machten uns auf den steilen, unwegsamen Weg entlang der Staatsgrenze zu einem übersichtlichen Eck. Wenn Rotwild gegen Abend zu ziehen beginnt, dann geht das meistens sehr schnell, also hatten wir höchste Zeit. Ziemlich ausgepumpt und verschwitzt kamen wir zu der Stelle, wo wir glaubten, den Hirsch abfangen zu können. Beim Grenzstein Tirol-Bayern gingen wir in „Stellung“. Rucksack und Mantel legten wir auf den Stein, wir waren nun bereit. Im Kar draußen meldete der Hirsch wie verrückt, also waren wir Gott sei Dank rechtzeitig angekommen. Gespannt warteten wir auf das über die Grenze wechselnde Wild. Aber wie so oft auf der Jagd: Der Plan ging nicht auf. Plötzlich war kein Hirschlaut mehr zu hören – was war da passiert? Fünf Minuten später meldete unser Hirsch plötzlich unterhalb von uns, gedeckt durch einen kleinen Bergrücken. Wir waren fassungslos und schauten uns verblüfft an. Wir fürchteten, dass uns der Hirsch in den Wind bekam. Dann war unsere Jagd nämlich zu Ende.
Auf einmal hörte man Steine fallen und Äste knacken, dann wieder Totenstille – Spannung bis zum Geht-nicht-mehr. Und dann stand unser Hirsch plötzlich, wie hingezaubert, ganz lautlos mitten im Grenzstreifen, nur hundert Gänge unterhalb von uns und tat sich in einer Mulde ziemlich abgekämpft nieder. Er wälzte sich wie in einer Suhle, schlug mit dem Geweih um sich, dass die Lahnergrasbüschel nur so flogen. Warum der Hirsch wohl das Kahlwild verlassen hatte? Aber jetzt war nicht die Zeit zum Herumrätseln, sondern zum Handeln. Schnell räumten wir den Grenzstein, dann kreuzte ich beide Bergstecken und flüsterte Hans zu: „Wenn du bereit bist, schrei ich den Hirsch mit der Muschel an, damit er hoch wird.“ Der Gast deutete, es ginge. Mit einem zornigen Kampfschrei brachte ich den Hirsch auf die Läufe. Stur und mürrisch äugte er zu uns herauf. Der Schuss hallte durch den abendlichen Bergwald, sein Echo rollte vom bayerischen Brunftplatz herüber, von wo auch der Bergkönig gekommen war. Krachend und polternd überschlug sich der Hirsch. Eine Senke im Grenzschlag fing ihn auf, wo er bald verendete.
Wieviel Glück wir gehabt hatten! Wäre das alles nicht so schnell gegangen, so hätte der Hirsch sicherlich von uns Wind bekommen, und wir wären ihn losgewesen. Voller Freude schlug ich dem Schützen mit der Rechten auf die Schulter.
Ein Nichtjäger kann nicht ermessen, was in Jägern in solchen Augenblicken vorgeht ...
Bald standen wir ehrfürchtig vor dem eindrucksvollen Geschöpf. Was für mächtige Stangen der Hirsch hatte! Er erhielt seinen Letzten Bissen von einer Bergtanne, von der auch der Schütze, den Bruch erhielt. Den Selbstgebrannten hatten wir uns ehrlich verdient. Bald war der alte Recke aufgebrochen. Langsam begann es zu dämmern, ein paar Hirsche ließen sich zum Abschied noch aus der Ferne vernehmen: Erinnerungen, die einem niemand mehr nehmen kann. – Wir machten uns auf den Weg zur Johannklause und feierten bei Toni und Heidrun gebührend den Hirsch ...