Beschreibung
Ein Jägerleben
Otto W. Rossegg
Die Trilogie „Ein Jägerleben in der Monarchie“ beschreibt symbolträchtig ein österreichisches Jägerschicksal des 20. Jahrhunderts. Der erste Teil („Vom Försterbuben zum Jungjäger“) erzählt von der Zeit um 1900: die ersten Schritte des Autors zum Jungjäger in der Obhut seines Elternhauses in Südmähren, in der damaligen österreichisch-ungarischen Monarchie. Vom Vater, dem kaiserlich-königlichen Hofforstmeister, auf seinem Werdegang begleitet, erlebt der Försterbub die Höhen und Tiefen in der Laufbahn eines jungen Forstmannes. Durch ernste und heitere Geschichten hindurch führt dieser zum Teil recht steinige Weg zum ersehnten Ziel: „Jungjägers Reife“.
Der zweite Teil („Das Hohe Lied der Jagd“) führt geradewegs hinein in spannende, farbenfrohe Erlebnisse eines bewegten Jägerlebens. Er erzählt von der erblühenden Liebe und dem Jägerfrohsinn des jungen Berufsoffiziers genauso wie vom grausamen Schmerz über den Verlust naher Verwandter in Ungarn nach Ende des Ersten Weltkrieges; vom unermesslichen Wildreichtum der Reviere rund um den Plattensee genauso wie von der Roten Revolution sowie deren Niederschlagung 1919/20, an der sich auch der Autor beteiligte.
Im dritten und letzten Teil („Karpatenjäger“) schreibt Rossegg über herausragende Jagden, aber auch über Kameradschaft und Toleranz unter den Menschen der 1918 gegründeten Tschechoslowakei, die er mit seiner Familie Ende des Zweiten Weltkrieges verlassen musste. Das herrliche Jagdrevier am Fuße der Hohen Tatra, in dem Rotwild, Rehe, Schwarz- und Niederwild, aber auch Bär, Luchs und Wolf ihre Fährte zogen, ließ er dabei zurück. Bei aller Tragik des Vertriebenenschicksals gingen dem Autor Lebensfreude und Jagdleidenschaft niemals verloren. Bis in die 1970er-Jahre bleibt er der Jagd treu, die ihn auf allen Stationen seines bewegten Lebens begleitet hat.
Leseprobe:
… Weihnacht 1909 steht vor der Tür, meine letzte Weihnacht in der „Zögerei“. Es ist der schwerste Zeitabschnitt für einen Fähnrich in spe; denn all die theoretischen und praktischen Wissenschaften, die man uns durch bald vier Jahre eingebimst hat, sollen ihren Niederschlag im Abschlussexamen finden, dessen vielseitige Hindernisse zu überwinden nur eine gründliche und raffinierte Kenntnis der mysteriösen k. u. k. Dienstvorschriften ermöglicht. Diese Weihnacht soll nun die letzte Atempause vor dem entscheidenden Hürdenlauf sein. Somit genieße sie und nutze sie aus, alter Zöger, wie du am besten kannst!
Mit Bimmeln und Fauchen braust unser Klingelbähnchen – natürlich wieder mit seinem Hinterteil voraus – in den verschneiten Bahnhof ein. Diesmal fehlt mein treuer Franzl; dafür erwartet mich mein Brüderchen, jetzt schon ein athletisch gebauter, kräftiger Jüngling in der schmucken Uniform eines Infanteriekadetten. Denn, o wehe, auch er musste die Lebensbahn des braven Vaterlandsverteidigers einschlagen, man hatte das unserem alten Herrn nahegelegt. Was tun, es musste halt sein!
Draußen vorm Bahnhof steht der zwanzigjährige Lipizzanerschimmel „Ibrahim“ vor dem Einspännerschlitten, darin sitzt der noch ältere k. u. k. Reservekutscher Peter. Diese beiden Veteranen sind sozusagen die Steckenpferde meines guten Vaters. Es ist da so etwas wie Pietät des alten Herrn dabei, denn der alte Peter hält seit urdenklichen Zeiten treu zu unserem Hause. Er war schon alt, bevor ich das Licht der Welt erblickte. Und der Ibrahim, der kam vor einem guten Jahrzehnt zu uns als Ausgemusterter aus irgendeinem Hofgestüt, versehen mit sämtlichen einem k. u. k. Dienstpferd gebührenden Papieren und Dokumenten, war ein lammfrommer Gaul, wurde dick und fett und genoss den geruhsamsten Lebensabend, den ein Pferd sich überhaupt wünschen kann. Sogar den Hafer bekam er geschrotet, weil sein Gebiss nicht mehr mitmachen wollte.
Heute also muss die alte Garnitur herhalten, denn morgen ist der aufregendste Tag, den Groß und Klein bei uns einmal im Jahr erlebt. Es ist der Tag der allerhöchsten Hof- oder Kammerjagd, die für den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand d’Este abgehalten wird. Welche Vorbereitungen und Organisation diese Jagd erfordert, das kann sich nur der vorstellen, der die unersättliche Jagd-, besser gesagt Schießwut dieser hohen Persönlichkeit kennt. Heute hat kein Mensch Ruhe. Das Forstpersonal bis zum letzten Heger herab ist schon seit Tagen in fieberhafter Tätigkeit, draußen in Wald und Fasanerie, daheim in Auswahl und Zusammenstellung der Treiber.
Die arme Mutti hat mit dem morgigen Jagdfrühstück alle Hände voll zu tun. Was Wunder also, dass es am besten ist, nach der Begrüßung mit ein paar Fläschchen Bilowitzer Roten in Franzls Bude zu schliefen, wo der Schwergeprüfte sich redlich müht, den Skizzenplan für die morgige Hofjagd in wunderschön bunten Farben zu bemalen; denn bei der kritischen, nicht gerade jovialen Gemütsart des hohen Jagdherrn spielt jeder, auch der allgewaltige Herr Forstmeister, mit seinem Kragen, wenn die Sache auch nur ein wenig nicht klappt. Es möge nur eines als Illustration dienen, dass dieser allerhöchste Herr beim Empfang vor der Jagd den verantwortlichen Jagdleiter regelmäßig fragte, ob er ihm sechshundert Fasanen garantieren könne; und wehe, wenn nach Bejahung diese Zahl nicht annähernd zu seinen Füßen als Strecke lag.
Mich stößt dieses blindwütige Massenschlachten ab, obzwar bei der bis ins Unglaubliche gesteigerten Wildproduktion auch dieser gigantische Abschuss im Wildstand kaum zu merken ist. Weitaus mehr interessiert mich die sogenannte Nachsuche am Tag nach der Hofjagd, bei der mit vielen Treibern und einigen Schützen alle am Vortage bejagten Triebe nochmals sorgfältig durchgedrückt werden, um das nicht aufgehobene Wild zu sammeln; denn während der Jagd der illustren Gesellschaft gibt es kein Stehenbleiben, um verlorenes Wild zu suchen.
Nun, auch diese Hofjagd klappte bis ins Kleinste. Se. kaiserliche Hoheit, der anerkannt beste Jagdschütze Europas, erreichen die gewünschte Strecke, und seine wenigen Gäste kommen ebenfalls auf ihre Rechnung. Nur der – offenbar aus Ulk mitgenommene – kaiserlich-chinesische Botschafter, ein kleines, komisches, säbelbeiniges Männchen, verknallt aus seinen vier herrlichen englischen Flinten, um die ich ihn übrigens beneide, ein wahres Vermögen an bester Munition, ohne unserem Wildstand auch nur im geringsten zu schaden. Muttis Jagdfrühstück löst auch höchst anerkennende Worte der vornehmen Gäste aus, nur Se. kaiserliche Hoheit verzehren ganz separat ihren aus Wien in einer Thermoskiste mitgebrachten Kaiserschmarrn, ob aus Besorgnis um dero Leben oder aus Geringschätzung Muttis köstlicher Pasteten, gelierter Rebhühner und sonstiger auserlesener Leckerbissen. Höchstens denkt vielleicht Seine Herrlichkeit, der hohe Herr Mandarin der drei Pfauenfedern, beim wollüstigen Schmatzen im Stillen an seine heimatlichen Schwalbennester und Regenwürmerragouts. So also fährt die hohe Gesellschaft beim Klang der Waldhörner zum Hofzug ab, begleitet von den Segenswünschen der Zurückgebliebenen, dass ihre Reise gut verlaufen und der Hofzug sie recht schnell der Kaiserstadt entgegentragen möge. Und der „letzte Trieb“ der grünen Gilde ist der beste Beweis der großen Freude, dass der Hofzug seiner Bestimmung bestens nachgekommen ist. Nur „Onkel Barbarossa“, dessen schöner Rotbart sich in den Jahren schon wie ein Rehbock im Herbst verfärbte, bietet mit einem mächtigen Pflaster auf seiner Nasenspitze einen etwas ungewöhnlichen Anblick. Denn höret und staunet! Im größten Feuersturm der Fasaneriejagd wurde ihm gerade die Nasenspitze durch einen Streifschuss ganz fein angekratzt. Als er zwischen Sr. kaiserlichen Hoheit und dessen Nachbarschützen in der Treiberlinie als Ordnungsorgan ging, peitschte ein Meisterschuss einen in Kopfhöhe zurückstreichenden Hahn nieder, wobei „Onkel Barbarossa“ auf seiner Nasenspitze so etwas wie einen Hieb mit einem glühenden Stahldraht verspürte. Naturgemäß griff er hin, blickte rechts, blickte links, sah seinen hohen Jagdherrn unbekümmert die Fasanen vom Himmel herunterholen, den linken Jagdgast unverdrossen weiter drauflos knallen und – ward nicht ein Jota klüger draus. So blieb also nichts übrig, als Pflaster drauf und weiterdienen. In Einem aber sind wir uns alle einig: dieser Schuss konnte nur einer Sr. kaiserlichen Hoheit sein, denn erstens galten diesem Herrn untergeordnete Menschenkinder gar nichts, zweitens gab es wohl kaum jemanden aus seiner Jagdgesellschaft, der einen solchen Schuss mit tödlicher Sicherheit hinwerfen konnte.
Schön ist am nächsten Tag die Nachsuche trotz des einigermaßen verkaterten Schädels der meisten Beteiligten, denn außer den vielen Waldhasen und massenhaften Kaninchen sind auch Fasanenhähne freigegeben, und da kann man es bei diesen, die solche Chinesen, Türken und andere Sonntagsjäger noch überreichlich zurückgelassen haben, immer noch auf die zwanzig, dreißig bringen. Nun, wir stehen auch hier sehr brav unseren Mann und schießen unseren Anteil redlich heraus.
Das Christkindlein ist geboren! Wieder geht geheimnisvolles Tun durchs Haus, ein Huschen und Raunen, als ob tatsächlich gütige Geister die langen Gänge entlangschwebten. Selbst der skeptischste Mensch, der alles ablehnt, was heilig ist, müsste in dieser Freude ahnenden Atmosphäre doch ein wenig Einkehr halten. Draußen läuten die Kirchenglocken und böllern aus ihren Schießprügeln die Slowakenburschen. – Da! Es ertönt wieder das Silberglöcklein, das mir, seit ich denken kann, die Tür zum festlichen Weihnachtsbaum erschlossen hat. Heute liegt unter ihm wieder ein Gewehr, eine wundervoll gearbeitete Büchsflinte aus der weltberühmten Büchsenmacherei Peterlongos in Innsbruck. Sie hat schweres Kugelkaliber und Zwölferschrotlauf, einen wolkig gefladerten Nussholzschaft und meisterhafte Ziselierung und ist herrlich ausgewogen. Als dieser schöne Familienabend vorbei ist, da nehme ich diese prächtige Waffe in mein Zimmer mit, lege sie auf einen Stuhl vor mein Bett und umkose sie mit meinen Blicken, bis mir in seligem Glücksgefühl die Lider zufallen. – Unsere eigenartige Brautnacht! –
Draußen sät der Weihnachtshimmel seine Flocken, als ob da droben ungebärdige Englein in tollem Übermut ihre Federbettchen herabschütteln würden. Wohliges Sättigkeitsbehagen und „dolce far niente“ im geselligen Familienkreise füllen die beiden Festtage vollends aus. Nun hört auch das Schneien auf, und die schönste Neue ist da. Und dazu kommt – Hurrah! – der angeordnete Abschuss von Kahlwild in einem weit entlegenen Jagdbezirk. Segne, oh St. Hubertus, die Hand, die diese handschriftliche Anordnung geschrieben hat!
Nach großem Kriegsrat im väterlichen Allerheiligsten, nach dem Rapport der Heger, bei Zigarren-, Zigaretten- und Knasterdampf und nach einigen Stamperln Weihnachtssliwowitz ist der Jagdplan für die nächsten zwei Tage geboren: zeitig in der Frühe Abspüren der Schneisen, Bereitstellen einiger Treiber und Eintreffen der „hohen“ Jagdgäste beim „Waldhof“, dem tief im Forst liegenden Hegerhaus des bewussten Jagdbezirkes.
Im frostklirrenden Morgen des nächsten Tages fegen unsere prächtigen Rotschimmel wie ein Wirbelwind mit dem großen Jagdschlitten durch den glitzernden Pulverschnee dahin. Unser lieber, alter Herr ist glänzend gelaunt; Onkel Schweda pafft seine Porzellanpfeife und achtet nicht auf das obligatorische Nasentröpfchen, nach dem man laut Vaters Feststellung jederzeit die Tagestemperatur ablesen könnte; Franzls brandrote Ohren und glänzenden Augen berichten von den heimlich eingenommenen morgendlichen zwanzig Tropfen; auch ich bin vom Jagdfieber und den bewussten Tropfen einigermaßen erregt und streichle unter der Pelzdecke meine zwischen die Knie geklemmte neue Büchsflinte liebevoll.
Am „Waldhof“ warten schon die drei Heger und etwa zehn Treiber an einem Feuerchen, denn eher möchte die Welt untergehen, als dass zehn Slowaken bei Schnee und Frost länger als zehn Minuten irgendwo im Wald ohne Feuer warten, wo sie ihre einfach entsetzlich stinkenden Gipspfeifen mit Holzglut anstecken.
Zeitig morgens haben die Heger die bewussten Sektionen umschlagen und in einer sechs Stück und in der zweiten ein starkes Rudel Hochwild festgemacht. Zwei starke Hirsche gingen separat; in den Rudeln sind alte Tiere nebst einigen Spießern, Schmaltieren und Kälbern bestätigt, soweit aus den Fährten gelesen werden konnte.
Mein Vater entscheidet sich zuerst für das starke Rudel, das in einer Sektion steht, die von vier breiten Schneisen umgrenzt wird. Die Schneise, über welche erfahrungsgemäß das angedrückte Wild zu wechseln pflegt, wird vom alten Herrn, Onkel Schweda und mir „abgestellt“, während Franzl den Rückwechsel besetzen und die Treiber von dort her ansetzen soll. Zwei Heger, die heute auch „Schuss frei“ haben, rücken auf den Seitenschneisen in gleicher Höhe mit den Treibern vor, der dritte führt sie im Trieb an.
In knapp zehn Minuten steht alles auf den Ständen bereit, und schön klingt Franzls „Jagd an!“ herüber. Wir stehen ungefähr hundert Gänge voneinander, in der Mitte der Vater, an den beiden Eckpunkten Onkel Schweda und ich. In meiner Faust liegt wieder einmal eine jungfräuliche Christkindwaffe, rechts mit dem schweren Expressgeschoss und links mit einer Zwölfer-Brennecke geladen, dem wuchtigen Bleigeschoss, das mir auf meiner langen Jägerlaufbahn zu so manch wunderbarer Trophäe verholfen hat. Mein alter Herr hat auch schon, bedächtig wie immer, seinen wertvollen, einläufigen Vollexpress-Stutzen geladen und in die linke Armbeuge gebettet; nickt mir noch ermunternd zu und tritt dann vollends an die Wand des Triebes heran. Die Schussbahn längs der Schneise und jenseits muss freibleiben. Onkel Schweda ist mit seinem alten, als „junge Kanone“ bekannten, unfehlbaren Werndlstutzen in der anderen Waldecke verschwunden.
Langsam geht der Trieb an. Das Klopfen an die Stämme des dicht mit Unterholz bestandenen Hochwalds wie auch das vereinzelte „Hopp, hopp“ der geschulten Treiber wird hörbar. Ich muss gestehen, dass ich fiebere, so ein klein wenig klappert’s in mir, und das wahrscheinlich nicht allein von den acht Grad Kälte. Aber was würden die anderen sagen, wenn sie mich in diesem Jagddelirium sähen. Und dieser Gedanke hilft, ich habe meine Ruhe wieder! Da – ein leises Knacken, dann in nächster Nähe Anschlagen, wie mit einem Stock an die Bäume. Ich fahre zusammen, doch im nächsten Augenblick werde ich mir bewusst, dass dies nur ein Geweihter sein kann. Darum – die Büchse fester heran! Ich bücke mich und spähe durchs Unterholz. Ja – vier, acht dunkle Läufe gehen gerade auf einige vierzig Gänge vom Troll in Schritt und verhoffen dann. Ich blicke schärfer hin und sehe den unteren Rand des Wanstes und die Brunftrute: Hirsche! Wohl die zwei starken, nach den Läufen zu urteilen! Sie sollen nicht durch einen unglücklichen Zufall vergrämt werden und nach rückwärts durchbrechen, sonst geht der ganze Zauber zum Teufel. Nun, der Wind ist gut, also still und ruhig bleiben wie ein Eiszapfen!
Wieder ein leises Rascheln, Knacken und Anschlagen, schon ganz nahe am Rand. Und auf einmal sind sie da, stehen wie zwei grauschwarze, aus schönstem Granit gemeißelte Figuren da; nur den Träger und das Haupt bewegen sie, wie sie vorsichtig nach beiden Seiten äugen. Schwarz sind die mächtigen Stangen, schneeweiß die Sprossenenden der Zwölferkrone und des weit ausliegenden Zehnergeweihs. Ich stehe, gut gedeckt, unbeweglich! Und doch scheint ihnen diese Schneise unbehaglich zu sein, denn plötzlich überschlagen sie die freie Bahn in lebhaftem Troll und sind, Gott sei Dank, drüben fort. Ich danke der keuschen Göttin für diesen herrlichen Anblick und atme erleichtert auf!
„Hopp, hopp“ – und plötzlich „Pozor nazad!“ (Achtung rückwärts!) Rrrak – peitscht drüben Franzls Schönauer auf! Donnerwetter, das Wild ist nach rückwärts ausgebrochen! Doch halt! „Pozor dopredu!“ (Achtung vorwärts!) Und schon braust’s heran wie Ungewitter, der Wald dröhnt, prasselt, rauscht! Ich spähe durch eine Lücke hinein; es ist genug, um blitzschnell ein altes Tier auszumachen, in vollster Flucht, Träger und Haupt waagerecht. Dahinter rasen dunkle Schatten daher. „Karnickel“ – Gott, sei mir gnädig, denn das wird ein Schnappschuss! Dabei vergess ich, dass ich ja zum ersten Mal auf flüchtiges Wild mit Kugel schieße.
Die neue Braut fliegt an die Backe, liegt gut, Korn und Absehen ahne ich bloß, als ich auf die Mitte der noch leeren Schneise hinhalte. Grau schießt’s aus der Wand hervor, den Rand vom Blatt erfasst und abgedrückt! Hohe Flucht und drüben ins Dickicht hinein! – Drei, vier graue Schatten vorbei, darunter ein Spießerchen. – Und da – ein Nachzügler! Lücke – ein Tier! Der Finger liegt am zweiten Abzug, die Backe saugt sich fester ans Nussholz, und – hinaus donnert die schwere Brennecke! Pulverdampf! Gerade noch sehe ich ein Haupt zwischen die Vorderläufe werfen und eine dreifache Roulade, wie beim schönsten Hasen. Der schwere Bleiklotz hat seine Schuldigkeit getan.
Die Treiber sind da, „Jagd aus!“ Ich gehe an den Anschuss meines ersten Tieres, blicke an der Stelle des Überschlagens der Schneise unters Gebüsch. Dank, St. Hubertus! Dort liegt reglos das alte Leittier mit einem tadellosen Blattschuss da. Und der Nachzügler färbt aus dem walnussgroßen Durchschuss des Trägeransatzes mit seinem warmen Schweiß den Schnee. Ein wenig zu viel vorgehalten, trotzdem ein guter Schuss!
„Weidmannsheil, mein Bub! War ruhig, überlegt und gut geschossen!“ Und aus der Hand des besten Weidmannes und Menschen nehme ich das Blutbuchenreis als meinen teuersten Bruch entgegen. Am Abend dieses prächtigen Jagdtages überreicht er mir die ersten zwei Paar schöner Grandeln. Sie zierten, in grün ziseliertes Gold gefasst, meinen Jägerhut, bis brutale, bestialische Gewalten mir das Teuerste raubten, meine Heimat, in der all das Schöne begraben liegt, was sie uns damals schenkte …
… von der Monarchie zur Moderne. – Diese Trilogie beschreibt symbolträchtig ein österreichisches Jägerschicksal des 20. Jahrhunderts.
384 Seiten. Exklusiv in Leinen.
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