Beschreibung
Herausforderung Rotwild
Hubert Zeiler
Wenn Rotwild reduziert werden soll, lautet die Forderung meist: „Schießen – (fast) egal, was!“ Dass man damit oft die Bestände regelrecht nach oben schießt, ist vielen nicht bewusst. – Wie es funktionieren kann, zeigt das Fallbeispiel des Reviers Schöttl im Bezirk Murau in der Steiermark. Ein Buch-Auszug.
Massive Schälschäden, hohe Wilddichten und ein Rotwildbestand, bei dem das Geschlechterverhältnis stark zugunsten des weiblichen Wildes verschoben wurde – das ist meist der Stand der Dinge, wenn es keinen Ausweg mehr gibt. Man ist zum Handeln gezwungen. Genau das war in einem Betrieb im Bezirk Murau in der Steiermark der Fall. Glückliche Fügung dabei: Die Initiative wurde Schritt für Schritt im Zuge einer Diplomarbeit dokumentiert und in Zahlen festgehalten. Damit haben wir einen anschaulichen Beleg für eine erfolgreiche Bestandesreduktion, der uns vor allem eines gibt: wertvolle Einblicke zur Dynamik eines Rotwildbestandes, der deutlich verringert werden soll. Die Ziele sind bei solchen Aktionen leicht zu beschreiben. Man möchte weniger Schäden und weniger Wild. Der Weg dorthin ist keineswegs leicht. Einfach nur die Höhe der Abschüsse anzuheben, kann die Situation sogar verschärfen …
Das Ziel: Weniger Schäden und weniger Wild
Im vorgestellten Fall wollte man nicht nur die Schäden und den Bestand reduzieren, es ging auch darum, den Jagdwert des Reviers zu erhalten – eigentlich eine Quadratur des Kreises. Daneben sollte die Winterfütterung optimiert werden, es war Ziel, das Geschlechterverhältnis zugunsten eines leichten
Hirschüberhanges auszugleichen, das Wild sollte außerhalb der Fütterungsperiode hinauf in die Hochlagen gelenkt werden – und die Maßnahmen sollten dazu auch noch möglichst effizient und nachhaltig durchgeführt werden. … Eine wichtige Grundlage war die Erfassung des Wildstandes – dies geschah im Winter an der Fütterung. Dazu kurz ein paar Daten, welche die Rahmenbedingungen abstecken. Das Revier liegt in den Niederen Tauern. Die höchsten Berge erreichen 2.300 Meter Seehöhe. Die Fläche umfasst ein wenig mehr als 2.000 Hektar, natürlich sind aber auch Nachbarreviere mitzuberücksichtigen. Gut die Hälfte des Reviers entfällt auf unproduktive Flächen oberhalb der Waldgrenze, Almflächen nehmen 480 Hektar ein, und es gibt nur 475 Hektar Wald, davon 300 Hektar Wirtschaftswald. Das Gelände ist zum Großteil sehr steil und kaum erschlossen. Wir finden eine Situation vor, die es im Alpenraum immer wieder gibt: Im Sommer ist ausreichend Platz und Äsung vorhanden, im Winter konzentriert sich das Wild im Wald, das Nahrungsangebot reicht dann nicht für den potenziellen Sommerwildbestand. Womit wir beim Kern der Sache wären: 600 (!) Stück Rotwild bei einer Winterfütterung, dazu ein deutlicher Kahlwildüberhang sowie Durchforstungsrückstände führten zu Schäden in den Wintereinständen, die nicht mehr toleriert werden konnten. Wie also vorgehen?
Ungewöhnliche Schritte zu Beginn
Die ersten Schritte sind rasch erklärt. Die ohnehin stark geschädigten Bestände im Nahbereich der Fütterung wurden zum Teil gerodet, um mehr Platz für den enorm hohen Wildstand an der Fütterung zu schaffen. Es blieb nichts anderes übrig, aber zunächst musste auch das Futterangebot im Winter der Zahl der überwinternden Stücke angepasst werden. Das heißt, obwohl es Zielvorgabe war, den Wildstand auf etwa 250 Stück abzusenken, wurde vorerst einmal der Fütterungsbetrieb dem tatsächlichen Winterwildstand angepasst. Auch eine Wildwiese wurde neu angelegt, damit sich das Wild in der Umgebung der Fütterung besonders im Frühling allmählich auf frische Grünäsung umstellen kann. Dazu wurde rasch mit intensiver Durchforstung begonnen, um mehr Licht in die Bestände zu bringen und Bodenvegetation zu fördern. Das sind zum Teil ungewöhnliche Schritte. Besonders im Hinblick auf den Ausbau der Fütterung würden sie von vielen wohl aus Kostengründen mit dem Hinweis auf den zukünftig ohnehin deutlich geringeren Wildstand abgelehnt werden. Was bringen aber solche Maßnahmen? Sie schaffen völlig andere Startvoraussetzungen, weil sie Druck wegnehmen, und zwar sowohl vom Wald als auch vom Jäger. Schließlich kann die Reduktion eines Rotwildbestandes – soll sie nachhaltig wirksam sein – fünf bis sieben Jahre dauern. Ein weiterer Vorteil war dabei, dass an der Fütterung der Wildstand gut erfasst werden konnte. Dabei wurde besonders auf Wetterumschwünge geachtet. Fest steht, dass auch an gut besuchten Winterfütterungen nicht jedes Stück jeden Tag zur Futterstelle zieht. Besonders Kälteeinbrüche führen aber dazu, dass sehr viel Wild gleichzeitig zur Fütterung kommt. Das sollte man jedenfalls nutzen. Zudem wurde an den Tagen vor der Zählung das Futter eher knapp bemessen, damit am Zähltag mehr Wild zur Fütterung drängte. Eine einzige Zählung reicht nicht aus, um abgesicherte Ergebnisse zu erhalten! Im hier vorgestellten Revier wechselte Rotwild jedenfalls bis Ende der Schusszeit immer noch zu. Das Wild sollte also im Rahmen von mindestens drei bis vier Zählungen nach Sozialklassen erfasst werden. Am Ende werden die jeweils höchsten Werte je Klasse für weitere Berechnungen herangezogen. Mit den Zählergebnissen war eine brauchbare Grundlage für zukünftige Berechnungen gegeben. Auf diese Berechnungen werden wir gleich näher eingehen. Ein wichtiger Punkt bei der Reduktion von Rotwildbeständen ist aber auch die Jagdstrategie. Warum? Steigt der Jagddruck, weicht das Wild räumlich und zeitlich aus. Nachtaktives Wild ist kaum mehr zu bejagen, Rotwild in unerschlossenen steilen Hochlagen oder dichten Stangenhölzern ebensowenig. Es gilt also, die Jagd und vor allem den Jagddruck dem Verhalten des Wildes anzupassen. Wenn zunehmender Jagddruck dazu führt, dass Rotwild nicht mehr mit den üblichen jagdlichen Methoden erlegt werden kann, dann sind Reduktionseingriffe zu hinterfragen. Sie führen dazu, dass Bestände nur mehr sehr schwer reguliert werden können – womit entgegengesetzte Effekte auftreten. Im vorliegenden Fall hat man das Revier zunächst räumlich in Schwerpunkt- und Intervalljagdgebiete geteilt. Zusätzlich wurden Ruhezonen ausgeschieden. Diese Zonierung wird je nach Revier ganz verschieden ausfallen, wichtig ist dabei jedenfalls, dass es auch Ruhezonen gibt. Der Anblick von tagaktivem Wild in diesen Bereichen ist oft nur zu verlockend, vor allem wenn der Druck steigt und Abschusspläne erfüllt werden müssen. Besonders jene, die selbst nicht jagdlich im Einsatz sind, sollten sich hier mit gutgemeinten Vorschlägen oder Aufträgen an das fachkundige Jagdpersonal jedoch zurückhalten – Ruhezonen nehmen Druck vom Wild, vom Lebensraum und auch vom Jäger. Nach dem Ende der Hirschbrunft können Intervall- und Schwerpunktgebiete gemeinsam bejagt werden. Man kann das Intervallsystem aufgeben, sollte sich aber dennoch nach günstigen Witterungsbedingungen richten und oft auch von Gegenhängen oder aus der Ferne beobachten, um günstige Möglichkeiten auszuloten.
Steigender Wildstand trotz höherem Abschuss
Dennoch, wenn rund 200 Stück Rotwild zu erlegen sind, dann reichen die letzten Monate im Jahr nicht aus – man muss auch den Abschuss vor der Brunft anheben. Grundsätzlich sollte gegen Ende des Jagdjahres ja eigentlich Ruhe einkehren. Hohe Abschüsse im Sommer sind nach den Erfahrungen aus dem hier vorgestellten Revier aber auch nicht einfach von Jahr zu Jahr wiederholbar. Das Kahlwild – und hier besonders die Familienverbände – reagiert darauf. Nachdem das Rotwild dort im Jahr 2010 den Jagddruck im Wirtschaftswald noch nicht gewohnt war, war die Strecke in diesem Jahr außerordentlich hoch. Im Folgejahr fiel der Sommerabschuss aber bereits auf die Hälfte der Vorjahresstrecke zurück. Deshalb wurde 2012 gleich zu Aufgang der Jagdperiode der Eingriff im Frühsommer stark erhöht, sodass im Hochsommer wieder Ruhe einkehrte. Dieses Beispiel zeigt, dass bei intensiver Bejagung Strategien auch von einem Jahr zum nächsten geändert werden sollten. Das gilt ebenso für Bewegungsjagden. Kommen wir nun aber zu den begleitenden Analysen und Berechnungen, die von Harald Bretis durchgeführt wurden. Die Verminderung des Wildstandes ist nicht in jedem Fall gleichzusetzen mit weniger Zuwachs! Das zeigen Beispiele aus unterschiedlichen Rotwildprojekten, und das war auch im Revier Schöttl der Fall. Sehr rasch wurde auch klar, dass die herkömmlichen Abschussrichtlinien für eine erfolgreiche Bestandesreduktion nicht taugen. Wer erfolgreich sein will, muss von den üblichen Vorgaben sehr deutlich abweichen. Die Rückrechnungen zeigen, dass zu Beginn der Reduktionsphase über drei Jahre der Abschuss den Zuwachs nicht abgeschöpft hat. Ein Grund dafür war, dass etwa gleich viel Hirsche wie Tiere erlegt wurden, besonders starke Eingriffe erfolgten bei den Kälbern. Die Abschüsse wurden also in den ersten Jahren erhöht, gleichzeitig wurde aber das tatsächliche Geschlechterverhältnis nicht ausreichend berücksichtigt. Die Folge war, dass der Anteil der Hirsche im Bestand noch weiter zurückging. In Zahlen heißt das, es wurden 50 Prozent aller Hirsche freigegeben. Jeder zweite Hirsch war zur Erlegung frei! Tatsächlich wurden auch knapp 40 Prozent der Hirsche aus dem Sommerbestand entnommen. Das Geschlechterverhältnis verschob sich damit auf 1:3. Was dies bewirken kann, das haben wir an anderer Stelle dieses Buches schon gesehen. Harald Bretis konnte zeigen: Der Wildbestand ist zunächst trotz erhöhtem Abschuss in der Region weiter angestiegen! Erst, nachdem man verstärkt bei den Zuwachsträgern eingegriffen hat, wurde der Bestand ebenso wie das Zuwachsprozent verringert. Was heißt aber im konkreten Fall „verstärkter Eingriff bei den Zuwachsträgern“? In der tatsächlichen Reduktionsphase lag das Verhältnis von Hirsch- zu Tierabschuss bei 1:5 bis 1:7. Auch in anderen Regionen, in denen Rotwildbestände reduziert werden sollten, war man erst nach Verschiebung des Abschussverhältnisses bis auf 1:7 tatsächlich erfolgreich. Gefordert sind also einschneidende und vor allem konsequente Maßnahmen, die sich über mehrere Jahre erstrecken. Im Durchschnitt wurden in der Region über mehrere Jahre für ein männliches Stück – Schmalspießer bis Hirsche der Klasse I – je fünf Zuwachsträger erlegt. Also: 1 Hirsch auf 5 Tiere, oder 1 Hirsch auf 11 Stück Kahlwild. Zu Beginn der Reduktionsbemühungen wurden Tiere zu Kälber im Verhältnis 1:6 erlegt, während der Reduktionsphase verschob man dies auf etwa 1:2. Fassen wir also noch einmal zusammen: Die Abschussrichtlinien geben in unserem Fall vor, dass Hirsch zu Tier zu Kalb in einem Prozentverhältnis von 30:30:40 erlegt werden sollten. Tatsächlich wurde am Beginn der Reduktionsbemühungen nach dem Verhältnis von rund 20:20:60 eingegriffen. Während der eigentlichen Bestandesreduktion erfolgte die Entnahme dann in etwa nach dem Muster von 10:45:45 …
Ob Norwegen oder Schottland, ob Slowenien oder Frankreich, ob Schweiz oder Österreich – Rotwild nimmt in Europa zu. Und die Jäger sollen das Rotwild reduzieren. Meist versuchen sie dies auch ernsthaft, aber oft genug mit untauglichen Mitteln. Denn die Erfahrung zeigt: Wer nur einfach möglichst viel Rotwild auf den Boden bringt, ganz gleich ob Hirsch oder Tier, der erleidet Schiffbruch. Wenn man nicht auf die Altersstruktur im Bestand und auf das Geschlechterverhältnis achtet, dann geht der Schuss nach hinten los.
Herausforderung Rotwild“ – Hubert Zeilers neues Buch räumt mutig mit kapitalen Missverständnissen der jüngeren Vergangenheit auf. Es zeigt an Fallbeispielen, wie in den letzten Jahrzehnten Bestände durch falsche Bejagung regelrecht nach oben geschossen worden sind. Zum Beispiel eben, indem man nur auf die Abschusszahlen geschaut hat und nicht auf die Struktur des Bestandes.
Glasklare Antworten finden sich in dem Buch unter anderem auf folgende Fragen:
– Wie sieht eine sinnvolle Rotwildbejagung aus?
– Wie reagiert Rotwild auf intensive Bejagung?
– Wie reduziert man wirksam Rotwildbestände?
– Was bewirkt Fütterung?
– Welche Überwinterungskonzepte gibt es?
Hubert Zeilers Antworten sind durch und durch der Praxis verpflichtet. Nach einem grundlegenden Einstiegskapitel zur Dynamik von Rotwildbeständen zeigt er in handfesten Praxisbeispielen, wie man Rotwild massiv und trotzdem wildschonend zurücknehmen kann. Und das Ganze, ohne dass dabei der Jagdwert der Reviere verlorengeht.
„Herausforderung Rotwild“ ist ein Buch, das längst fällig war. Es empfiehlt eine Kurskorrektur in unserem Umgang mit Rotwild und gibt dem Jäger – und auch dem lesenden Forstmann – das nötige Wissen an die Hand, seine Rotwildprobleme wirksam zu lösen. Damit ebnet das Buch auch den Weg zurück zu einer freudvollen Jagd.
160 Seiten, 55 Farbfotos.
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